Freiberg (Sachsen)

Datei:Sachsen.gifBildergebnis für landkreis freiberg sachsen ortsdienst karte Die Bergstadt Freiberg mit derzeit ca. 40.500 Einwohnern ist eine Kreisstadt (Verwaltungssitz des 2008 neugebildeten Landkreises Mittelsachsen) – zwischen Dresden und Chemnitz gelegen (topografische Karte 'Sachsen', U. 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Kartenskizze 'Landkreis Mittelsachsen', aus: ortsdienst.de/sachsen/mittelsachsen).

 

Bis ins beginnende 15.Jahrhundert hinein war Freiberg einer der Städte auf sächsisch-wettinischem Territorium mit einer bedeutenden jüdischen Ansiedlung. Die Juden lebten gut von ihren Handelsgeschäften, besonders ist in diesem Zusammenhang der Silberbergbau zu nennen. Das Rohsilber wurde von jüdischen Händlern über die Fernhandelswege auch in weiter entfernte Regionen gebracht. Dass die jüdische Bevölkerung Freibergs im ausgehenden Mittelalter relativ zahlreich gewesen sein muss, beweist die Bezeichnung „Judenberg“; hier hatten Juden seit Anfang des 14.Jahrhunderts vor den Stadtmauern zwischen Erbischen Tor und Peterstor, der heutigen Langestraße, ihre Wohnsitze.

(Anm.: Doch die Möglichkeit, dass Juden bereits seit Beginn des 13.Jahrhunderts hier gelebt hatten, kann nicht ganz ausgeschlossen werden.)

Ihre weitgehende (rechtliche) Gleichstellung mit den christlichen Bewohnern und ihre nahezu ungehinderte Religionsausübung verdankten die hiesigen Juden der bereits 1265 erlassenen „Judenordnung“ Heinrichs des Erlauchten.

Im Jahre 1411 wurden die Juden durch den damaligen Landesherrn aus Freiberg vertrieben. „Sind die Juden welche zu Freiberg in der Vorstadt gewohnet am Orte / den man itzo den Judenbergk nennet / wegen großen Wuchers / so sie getrieben / gefänglichen eingezogen / und hernach ganz aus dem Lande verwiesen.“ Ihre Vermögen teilten sich Landesherr und Stadt. Ob rein wirtschaftliche oder auch religiöse Motive für ihre Vertreibung ausschlaggebend waren, kann nicht eindeutig nachgewiesen werden. Heute findet man im Stadtbild Freibergs keinerlei bauliche Überreste dieser mittelalterlichen jüdischen Gemeinde.

Die nach Sayda geflüchteten Freiberger Juden, die dort in einer eigenen „Vorstadt“ sich niedergelassen hatten, verloren 1465 ihre Bleibe, nachdem ein Großbrand den Ort nahezu eingeäschert und man die Juden der Brandstiftung bezichtigt hatte. Damit endete für Jahrhunderte jüdische Ansässigkeit in Sachsen.

Fribergum Misinae.jpgFreiberg im 16.Jahrh., (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Wie im übrigen Sachsen war nun auch in Freiberg eine Niederlassung von Juden vom 16. bis weit ins 18.Jahrhundert hinein nicht geduldet. Die „Bergordnung“ des Kurfürsten August von 1554 verbot Juden jegliche Ansiedlung bzw. Bleibe in den sächsischen Bergstädten („hinfürder kein Jude auff unseren bergstedten, an einem ort über Nacht, von jemandts unserer Unterthanen sol beherbriget werden“).

Nur die Durchreise jüdischer Fernhandelskaufleute zu den Messen und anderen Jahrmärkten wurde vom Landesherrn gestattet - allerdings nach Zahlung von Warensteuern und Geleitgeldern; an diesen Einnahmen war auch die Stadt Freiberg beteiligt. Wer Juden beherberge oder „irgendeine Gemeinschaft mit ihnen halte“, wurde – laut Order - mit drastischen Strafen bedroht. Mehr als drei Jahrzehnte später erließ der sächsische Kurfürsten Christian I. dann eine weitere „Bergordnung“ (1589).

                         Bergordnung von 1554*

                                Anm.: 1571 und 1575 ergänzte der Kurfürst August das von ihm 1554 erlassene Reglement.

Gegen Zahlung einer „Gebühr“ konnte jüdische Händler die Stadt Freiberg passieren; der abgebildete „Passierschein“ war 1622 Prager Juden vom Kurfürsten Johann Georg I. ausgestellt worden.

  "Passierschein"  Anm.: beide Abb. aus: juden-in-mittelsachsen.de (Projekt Shalom)

Noch im Jahre 1835 war Juden die Ansässigkeit in Freiberg verwehrt („ ... daß die polizeiliche Begleitung der in die Bergstädte kommenden Handelsjuden nicht mehr stattfinden möge, daß das Verbot des dauernden Aufenthalts der Juden in Bergstädten und ihre Zulassung auf Berg- und Hüttenwerken aber fortzubestehen habe...”). Erst im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts konnten sich jüdische Unternehmer und Kaufleute in Freiberg ansiedeln. Auch jüdische Studenten kamen nun in die Stadt, um an der hiesigen Bergakademie ihre Ausbildung als Montan-Ingenieure und Wissenschaftler zu machen. Zwischen 1876 und 1935 studierten rund 170 jüdische Studenten an der Bergakademie Freiberg, der ältesten montanwissenschaftlichen Hochschule der Welt. Wegen ihrer geringen Zahl gab es aber keine eigene jüdische Gemeinde; sie gehörten zur Synagogengemeinde Dresden. An hohen Feiertagen fanden aber jüdische Gottesdienste in angemieteten Gaststättenräumen in Freiberg statt; einmal in der Woche reiste ein Lehrer an, um den wenigen jüdischen Kindern Religionsunterricht zu erteilen.

Der alte jüdische Friedhof wurde gegen Ende des 19.Jahrhunderts aufgegeben; das neue Begräbnisgelände war ein Teil des städtischen Friedhofs hinter der Altstadt.

Juden in Freiberg:

         --- 1849 ........................ eine jüdische Familie,

    --- 1895 ........................  56 Juden,

    --- 1900 ........................  83   “  ,

    --- 1910 ........................ 111   “  ,

    --- 1925 ........................  66   “  .

Angaben aus: Michael Düsing (Hrg.), Glück auf, mein Freiberg !

Marktplatz - Stahlstich um 1850 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Der aufkommende Antisemitismus der 1890er Jahre richtete sich auch gegen Freiberger jüdische Kaufleute, die z.T. dann ihre Geschäfte aufgaben und die Stadt verließen.

Obermarkt in Freiberg - Postkarte um 1900 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges eröffnete in der Freiberger Petersstraße das „Kaufhaus Schocken“; das 1901 in Zwickau entstandene Warenhausunternehmen der Gebrüder Schocken war der bedeutendste Kaufhauskonzern Sachsens.

      Salman Schocken - ehem. Kaufhaus Schocken (hist. Aufn.)

    1938 wurde das Kaufhaus Schocken "arisiert"; es ging an die "Merkur AG" über.

                            Modegeschäft „Die Goldene 24“ (Fam. Weinberg) 

Wenige Wochen nach der NS-Machtübernahme wurde auch in Freiberg der Boykott jüdischer Geschäfte durchgeführt, der besonders bei den meisten deutsch-christlichen Geschäftsleuten auf Zustimmung stieß. Mit dem wenige Tage später erlassenen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” war dann offiziell die Handhabe zur Entfernung jüdischer Wissenschaftler und Angestellter der Bergbauakademie gegeben. Die Verdrängung jüdischer Geschäftsleute setzte sich in den Folgejahren fort. So hieß es in einem Schreiben der NSDAP-Ortsgruppe vom 17.11.1935:

... Die Tatsache, daß Freiberger jüdische Geschäfte in letzter Zeit eine größere Reklame als bisher entwickeln, so das jüdische Warenhaus Schocken durch auswärtige Inserate, ferner die Judenfirma Isidor Luft durch Flugblätter für ihren Totalausverkauf, veranlassen mich, alle Parteimitglieder auf den bekannten Erlaß des Stellvertreters des Führers, Pg. Rudolf Heß, hinzuweisen. Danach verstößt Jeder gegen die Parteidisziplin, der in einem jüdischen Geschäft kauft oder durch seine Ehefrau oder andere Beauftragte kaufen läßt. ... Ich verpflichte jeden Einzelnen von Euch dazu, überall, bei allen Volksgenossen aufklärend zu wirken. Die Judenfrage wäre zum größten Teilschon jetzt gelöst, wenn jeder Deutsche Disziplin halten und wenn in keinem Falle beim Juden gekauft würde. Kauft in unseren Deutschen Geschäften. Heil Hitler.

 

Während der „Reichskristallnacht“ kam es in Freiberg zu Plünderungen von Geschäften und Gewalttätigkeiten gegenüber jüdischen Einwohnern; vier jüdische Männer wurden verhaftet und ins KZ Buchenwald überstellt. Nach dem Novemberpogrom 1938 verließen die meisten noch in Freiberg verbliebenen jüdischen Bewohner die Bergstadt; einige wählten den Freitod. Ende 1944 wurden dann die letzten 15 „Halbjuden“ aus Freiberg abtransportiert und in ein Zwangsarbeiterlager nach Osterode/Harz verbracht; hier erfolgte ihr Arbeitseinsatz bei der Errichtung eines Stollensystems, das als Standort für ein Hydrierwerk bzw. Tanklager der ESSO Hamburg vorgesehen war.

Ab Herbst 1944 war Freiberg Standort eines Außenlagers des KZ Flossenbürg; etwa 1.000, meist polnische und tschechische Jüdinnen - aus Auschwitz hierher transportiert - mussten Zwangsarbeit für die beiden Freiberger Rüstungsbetriebe leisten. Um die Jahreswende 1944/45 wurden die weiblichen Häftlinge in das Barackenlager am Hammerberg verlegt. Mitte April 1945 wurde das Kommando aufgelöst, die Frauen in offene Güterwaggons verladen und abtransportiert; nach mehr als zweiwöchiger Irrfahrt erreichten die Frauen völlig ausgezehrt das KZ Mauthausen; Bombenangriffe auf den Zug und Seuchen hatten zahlreiche Opfer gefordert.

 

Der neue jüdische Friedhof - ein kleines Areal innerhalb des Stadtfriedhofs (Donatsfriedhof) hinter der Altstadt gelegen - befindet sich heute in einem gepflegten Zustand. Vom alten Beerdigungsgelände, das sich außerhalb der einstigen Stadtmauer befand, sind kaum noch Spuren vorhanden.

Seit 2007/2008 wurden sog. „Stolpersteine“ in den Straßen Freibergs verlegt; inzwischen sind es an elf Standorten ca. 25 in die Gehwegpflasterung eingelassene messingfarbene Steinquader (Stand 2023).

                  Stolperstein für Wilhelm Heymann, Heinrich-Heine-Strasse 12, Freiberg.JPGStolperstein für Hildegard Heymann, Heinrich-Heine-Strasse 12, Freiberg.JPGStolperstein für Ursula Heymann, Heinrich-Heine-Strasse 12, Freiberg.JPGStolperstein für Norbert Heymann, Heinrich-Heine-Strasse 12, Freiberg.JPG

„Stolpersteine“ für die Fam. Pinkus, Poststr. und Fam. Heymann, Heinrich-Heine-Str. (Aufn. aus: Projekt Shalom und B.Gross, wikipedia.org, CCO)

verlegt in der Burgstraße/Thielestraße

 

 

 

In Oederan, einer Kleinstadt ca. 15 Kilometer südwestlich von Freiberg, findet man in der Großen Kirchgasse vier sog. "Stolpersteine", die an Angehörige der deportierten und ermordeten Familie Motulsy erinnern.

      Stolpersteine für Familie Motulsky, Große Kirchgasse 6, Oederan.JPG verlegt für Fam. Motulsky (Aufn. B. Gross, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

 

Bereits 2005 wurden in Döbeln - etwa 30 Kilometer nördlich von Freiberg gelegen - aus Initiative des Lessing-Gymnasiums die ersten fünf "Stolpersteine" verlegt; weitere folgten 2013 und 2015. In den Gehwegen findet man derzeit an neun Standorten insgesamt 16 dieser Gedenksteine (Stand 2020).

Stolpersteine für Familie Gutherz, Bahnhofstrasse 51, Döbeln.JPG Stolpersteine für Max und Karl Glasberg, Bahnhofstrasse 73, Döbeln.JPG Stolpersteine für Familie Zacharias, Fronstrasse 9, Döbeln.JPG

verlegt in der Bahnhofstraße und Fronstraße (Aufn. Bernd Gross, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

Seit 2015 sind auch in Roßwein - ca. 25 Kilometer nördlich von Freiberg gelegen - an mehreren Standorten insgesamt zwölf sog. "Stolpersteine" ins Gehwegpflaster eingefügt; sie erinnern an Angehörige von vier jüdischen Familien.

Stolpersteine für Familie Bibring, Goldbornstrasse 22, Roßwein (1).JPG Stolpersteine für Familie Strauss, Nossener Strasse 11, Roßwein.JPG

verlegt in der Goldbornstraße u. Nossener Straße (Aufn. Bernd Gross, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

Weitere Informationen:

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band II, S. 684 - 688

Ausstellung “Jüdisches Leben in der Bergstadt Freiberg - eine Spurensuche”, Unterrichtsprojekt am Freiberg-Kolleg, Hrg. Stadt Freiberg, 1991/1992

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 346

Michael Düsing (Hrg.), Glück auf, mein Freiberg! Erinnerungen und Lebensschicksale jüdischer Bürger in den sächsischen Bergstädten Freiberg und Oederan, Teil 2, Freiberg 1995

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 663 f.

Projekt “Shalom Sachsen - Böhmen”. Dokumentationen zur Geschichte, Tradition und Kultur der Juden in der sächsisch-böhmischen Grenzregion, CJD Chemnitz - Außenstelle Freiberg im Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands e.V.

Wir waren zum Tode bestimmt“ - Schicksal jüdischer Zwangsarbeiterinnen aus Freiberg und Oederan, Forum-Verlag, Leipzig 2002

Michael Düsing, Das Freiberger Kaufhaus Schocken - eine Spurensuche, Hrg. Stadt Freiberg, Freiberg 2007

Jüdisches Leben in Freiberg, in: juden-in-mittelsachsen.de (Projekt Shalom)

Jüdische Geschichte in Freiberg – Antifaschistisches Infoportal für Freiberg und Umgebung, online abrufbar unter: afg.blogsport.de/2010/07/30/juedische-geschichte-in-freiberg (verfasst 2010)

Geschichtswerkstatt Freiberg (Hrg.), Jüdische Ansiedlung in Freiberg nach der Stadtgründung, online abrufbar unter: geschichtswerkstatt-freiberg.de/wp-content/uploads/Jüdische-Ansiedlung-in-Freiberg-nach-der-Stadtgründung.pdf

Geschichtswerkstatt Freiberg (Hrg.), Jüdische Geschichte Freibergs vom Mittelalter bis zum Beginn des 19.Jahrhunderts, in: geschichtswerkstatt-freiberg.de

Auflistung der in Freiberg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Freiberg

Auflistung der in Oederan verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Oederan

Auflistung der in Döbeln verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Döbeln

Kathrin Reichelt (Red.), Döbeln.Stolpersteine gestohlen, in: "Sächsische Zeitung" vom 10.11.2015

Auflistung der in Roßwein verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Roßwein

Treibhaus e.V. Döbeln (Hrg.), Niemand kam zurück - Jüdisches Leben im Altkreis Döbeln bis 1945. Biografien, Lebenswege und Schicksale der regionalen jüdischen Bevölkerung (Broschüre), bearb. von AG Geschichte, Döbeln 2018

Uwe Richter (Red.), Lange Straße hieß einst Judengasse, in: "Freie Presse“ vom 11.10.2018

Freiberger Zeitzeugnis e.V. (Hrg.), 1938 in Freiberg – Zum 80.Jahrestag der „Reichskristallnacht“: Judenverfolgung 1938 in Freiberg, online abrufbar unter: freiberger-zeitzeugnis.de/forschung-und-wissen/

Cornelia Schönberg (Red.), Ein Bäcker, ein Boxer, ein Historiker, in: „Freie Presse“ vom 25.8.2020 (betr. Stolpersteine)

Wieland Josch (Red.), 800 Jahre jüdisches Leben in Freiberg, in: blick.de/Mittelsachsen vom 16.6.2021

Verein „Freiberger Zeitzeugnis“ (Bearb.), Verwoben – Jüdisches Leben und Wirken in Freiberg vom 13. bis 20.Jahrhundert – Ausstellung, Freiberg 2021

Michael Kunze (Red.), Jüdisches Leben in Mittelsachsen: Die Federmanns in Freiberg und auf Schockens Spuren in Frankenberg, in: “Freie Presse“ vom 27.11.2022